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August 2019: Übergänge

TranSIciones


Ein Minutenbuch


Übergänge, ein Fließen der Malerei in die Fotografie, in diesen zeitgleich entstehenden Text, die Modulation des gemalten Bildes auf den Körper des Schaffenden durch Bodypainting. Was erwartet uns? Die Rolltreppe spuckt mich aus der U-Bahn in einen Augustmorgen aus, ich biege um die Ecke. Ein Mann hält eine längendehnbare Hundeleine fest und geht telefonierend auf und ab. Die Leine passt ihre Länge an, während der Hund faul inmitten des Bürgersteiges liegt und seinem Herrchen mit den Augen folgt.


Ich umgehe die Barriere, der erste Übergang mit Hindernissen, betrete den Hinterhof, eine Treppe führt zum Atelier.


Demeter will ich die Mutter des Malers nennen, welcher gerne in antiken Motiven malt, sie besorgt die Verpflegung: Ein Buffet ist aufgebaut, sie scherzt mit ihrem Leinwandsohn: »Weisst noch, als damals die dürre Stripperin den BH verloren hat?« Die Leinwand schweigt, während die Malerin Grundierung aufträgt, zunächst wird das Gesicht geweisst. Er ulkt, sein Nabel sei frisch rasiert, nimmt er auf der Liege Platz.


Derweil huschen zwei (ja genau!) Fotografinnen herum, das Klicken der Objektive erfüllt das Atelier. Der Pinsel wandert über Haut, unterhalb der Brustwarze, fast zärtlich streicheln die Borsten die Farbe auf das Leinwandlebendpergament. Ein Göttergesicht soll es werden, ein transzendentes Abbild eines seiner Bilder: ein Buch, ein Gesicht, ein Dionysos? Ein Apollon? Die Geburt einer Tragödie? In Lila-Magenta, nein, imperialer Purpur (der Maler nennt es später »ich glaube, ich habe Magenta genommen«), Blau und Grün, getupft, ein goldenes Band als Horizontschleier moduliert die Blautöne, es erhebt sich aus Gedankenkraft über das Gesicht, dessen Augen ins leere Blicken.


Eigentlich wollte ich jetzt das Rückseitenmotiv schildern, aber das Objekt muss sich von der zwischenzeitlich eingenommenen Haltung auf der Touristenliege erheben, um großflächig Grün an Seiten- und Schulterpartie zu aufzutragen. Der Pinsel streicht nun mit mehr Nachdruck über die Hautunterlage, trägt den Stempel des Waldes über die imaginäre Trennlinie zum Blau des Meeres, tupfende Bewegungen hier, als ob Wellen gegen den Fels der Körperfelsen schlagen. Die Brandung leckt an der Determinierung des Körpers, der sich mehr und mehr wandelt in … ja in was eigentlich? Ein ›Gesamtkunstwerk‹, doch was ist das?


Singen will ich, nicht ›Vor dem Meer und der Erd‹ und dem allumschließenden Himmel, …‹(*FN* Ovid, ›Metamorphosen‹*FN*)


Jene gebührt mir zu singen. O könnt‹ ich nur würdig der Göttin


Singen ein Lied! Doch die Göttin ist wenigstens würdig des Liedes.


An uns selber erfährt ja auch rastlose Verwandlung


Immer der Leib, und was wir gewesen und sind, wir verbleiben


Morgen es nicht. Einst war ein Tag, wo im Schoße der Mutter


Nur als Samen und Keim zukünftiger Menschen wir wohnten.


Bildende Hand anlegte Natur, und daß vom gedehnten


Leibe der Mutter umspannt die lebendige Bürde gezwängt sei,


Wollte sie nicht und ließ sie heraus an die ledigen Lüfte.


Jetzo gebracht ans Licht lag ohne Vermögen der Säugling; Gegenwartskunst im Sinne des Übergangs vom Logos in den Mythos, des Wechsels in den gegenwärtigen Moment, den spontanen Ausbruch der Kreativität. Wenn das Unbewusste die Herrschaft übernimmt, wenn das limbische Sytem das Zepter ergreift und die Dämonen unserer Archetypen vorantreibt: Adonis und Aphrodite, Daphne und Pan und Apollon, Narziss und Echo, Aktaion und Artemis; Macht und kraftraubende Küsse, schwächend die Mauern der Jungfräulichkeit, die Keuschheit im Kunstwerk, der Leib des Malers vergeht im Anblick der eigenen Motivauswahl: psychische Schubladenbilder?


Man unterhält sich über Licht, Termine, vereinzelte Scherze. Und die Fotografinnen? Scheinwerfer blenden, um den Lichtraub aus dem Zeitfenster der Minuten, gepresst in Millisekunden, den Biss der Objektive zu verkürzen.


Lichtjäger mit schwarzen


Schachteln frieren ein


Das Rauschen der Welt.


Geleerte Farbtöpfe in 4k


Auflösung der Hautporen,


Schemenhaft endende Muskeln.


Eingefangene Sinnverortung


Bannt Wollen in Photonengefängnisse,


Transzendenzgefrorenes.



Eine Zeusstatue, 20 cm hoch, reckt auf der Werkbank im Hintergrund seine Fackel in den Himmel, genauer gesagt gegen die Plastikflasche Wasser, die jemand danebengestellt hat.


Der Gott manifestiert sich mit einer Bauchnabelwarze auf der Wange. Muskelzucken moduliert seine Mimik, als ob er über seine Schöpfung nachdenke. Das Spektrum reicht von Verzweiflung und Entsetzen über Verwunderung und Rätstelraten bis hin zu erregter Freudigkeit, Letzteres kommt der Launen des Trägers am nächsten.


Ich frage mich, ob er lachen oder er weinen könne, der Gott, nicht der Bilduntergrund. Die Vermischung von Körperflüssigkeiten als nächster Übergang?


Eine Brustwarze bildet ein Horn an der Stirn und verzerrt das klassische Gesicht ins Satyrhafte: Prompt bekommt der Maler Hunger, ein schluckender Untergrund, der die Stirn des Gottes in Nachdenklichkeit wölbt, als die Speise sich ihren Weg sucht.


Das Abbild als T-Shirt, Marketingdiskussion, Besucher treffen ein, der Raum füllt sich pünktlich zur Vollendung der Vorderseite. Ohne Unterbrechung wird die Rückseite skizziert. Die Vermischung der Körperflüssigkeiten im Gemälde spukt noch durch meine Gedanken, Assoziationen zur Rückseite sperrt meine Zensurmaschine, die Rädchen der Erziehung greifen:


Das zweite Tableau zeigt einen nach links starrenden Dionysos im Profil. Die Nebenhöhlen verlieren eine Spirale, diese ordnet sich zu konzentrischen Kreisen, im Hintergrund in Grün und wenig Blau nehmen Flammenblätter die Spiralbewegung auf, eine Galaxie aus Gedanken.


Ein Garderobenspiegel wirft mannigfaltige Abbildungen in die Kameraobjektive, eine Besucherin ist allergisch auf Beifuß, der von der Blütenstruktur verwandt mit Ambrosia sei. Die Sehnsucht nach der Götterspeise, nach Nektar überkommt nun auch mich Schreibenden.


Der Skizzierpinsel zittert das Motiv in dünnen Strichen aus Weiss, Müdigkeit zwingt die Stehenden in eine sitzende Haltung. Die Nase des Profildionysos bettet sich auf den linken Lungenflügel, zarte Lilatöne füllen das Gesicht, die Nase, die Lippen, sanftes Pinselstreicheln.


Das Buffet erduldet die Anpreisungen, ein digitaler Bilderrahmen wirft Millisekunden über den mit Farbklecksen übersäten Fußboden. Bilder des Malers zieren die Wände, eine Fotografin scherzt, Pressetermin, Interview mit einem schweigenden Gott, dessen Leinwandsprachrohr der Antwortmöglichkeit nicht zu widerstehen vermag: Er winkt fröhlich, wandert durchs Publikum und begrüßt Freunde und Besucher: Begegnung der wandelnden Gottheit, gelebte Göttlichkeit.


Die Kreise auf dem Rücken zielen durch Dionysos’ Wange, die Malerin kniet vor den Rippenbögen, die Borsten ziehen widerspenstige Muskeln und Fettgewebe, um ihre grünen Flammenspiralen zu hinterlassen.


Im Publikum fallen die Worte Yoni und Vagina, man reicht Smartphonebilder herum von Ganzkörperbemalungen, ein netter Kommentar: »Auch interessant.« Man(n) will eben gesehen werden, Profile allenthalben, auf Rücken, in Neurosen, Narziss erwähnten wir bereits, hier das Echo, sozusagen der Versuch einer Konkurrenzveranstaltung, vielleicht findet sich ja noch eine Leinwand? Die Bodypainterszene spricht. Der spirituelle Anstrich überwiegt, es dient ja der Selbstfindung, Seminarreihen, …


Der Pegel der Hintergrundunterhaltungen schwillt an, Schaffensenergie verliert sich im Rauschen inhaltlicher Belanglosigkeiten, die Mittagsstunde nähert sich, die Energie der konzertierten Aktion verpufft in den Inseln der Egos:



Wenn Helios’ Glut im Zenit


Wenn der Wind in den Kiefern rauscht,


Im Refrain der Möwenklage,


Wenn flüstern die Schmetterlinge im Chor,


Im Archipel zwischen unseren Ohren


Wenn die Bienen summen sein Lied,


Ein Echo unseres Selbst


Wenn der Zaun aus Brandung niedergerungen


Den Flug unseres Geistes am Ufer;


Wenn das Meer getrunken das Blau des Himmels


Opfern wir uns als Ebenbild


In hohlen Gesprächen


Am Altar des Pan.



Das Gespräch springt zur Konservierung oder Entfernung: Tätowierung oder Duschen? Mir drängt Marsyas und Apoll auf, da sagt jemand »Haut abziehen!«


Die Malerin probiert die Farben an ihrem Unterarm, es bleiben rot, lila, grün, blau getönte schmale und breite Striche, als ob sie ritzte, allein das Strichmuster ergibt einen Code. Wie lesen wir ihn? An der Wand hinten im Atelier, graue Muster auf weißem Hintergrund, fein ziselierte Striche, unlesbare Hieroglyphen der Abnutzung durch das Stecken der Pinsel in Regale.


Die Hautporen verstopft, verdeckt die lesbaren Zeichen der Lebenszeit, nähert sich die Leinwand ihrer temporären Vollendung. Die Malerin sucht ihre Unterlage, denn der Maler präsentiert seine ausgestellten Werke.


Die Sanftheit der Linien, übertragen aus der zweidimensionalen Welt in die vierte Dimension, schwingt sich auf in räumlichen Bögen, pendelt zu dynamischen Höhepunkten. Das Rückenbild strahlt eine Lebendigkeit aus, deren Faszination das Publikum anzieht: Immer enger umstehen sie den Schemel, auf dem der Untergrund sitzt und sich bemalen lässt.


Derweil greift die Körpermalerin zu breiteren Pinseln, laufen die Farben über die Arme aus, Flügelschlagen in Blau und Grün. Er strahlt, ein Lachen ziert das weiß geschminkte Clownsgesicht.


Das Gesamtkunstwerk, die gespeicherten Worte, die gefühlten Pinselstriche, es soll auf den Bürgersteig gehen, die Fotodokumentation folgt, der Laptopschreiber sollte wohl aufs Smartphonetippen umsteigen, um zu folgen. Allein diese Jagd in den Gründen der Einsamkeit will ich mir nicht antun.


Die wandelnde Gemäldegalerie sucht den Gewitterregen, das Resultat verraten die Fotos.


Darsteller: Maler: Max, Malerin: Raffaela, Fotografin: Gisela, Schreiber: Simon


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